Murat Üstün kam 1959 in einem Fischerdorf bei Izmir zur Welt. Schon in früher Kindheit wurde sein musikalisches Interesse durch das Singen geweckt. „Wo ich aufgewachsen bin, waren die Menschen arm, der einzige Luxus war das Singen. Zuhause wurde viel gesungen. Meine Mutter hatte eine wunderbare Stimme – sie und ihre Schwestern sangen während der Hausarbeit. Die so erzählten Geschichten haben mich gefesselt und fasziniert.“ Der Vater, ein Seemann, zog mit der Familie in die Stadt, um den Kindern eine bessere Ausbildungsmöglichkeit zu schaffen. Murat besuchte die Volksschule und begann, von seinem besten Freund beeinflusst, Mandoline zu spielen, später Gitarre. Der Musiklehrer erkannte die musikalische Begabung der beiden Buben, förderte diese und riet den Eltern zur Aufnahmeprüfung am Konservatorium in Izmir. „Nachdem wir mit zehn Jahren diese Prüfung bestanden hatten – von 300 Kindern wurden nur 23 aufgenommen – stellte man uns alle nebeneinander auf eine Bühne. Die Lehrer, ausschließlich Mitteleuropäer, schauten unsere Hände und Finger an. Dem Hornlehrer, einem Deutschen, musste ich die Zähne zeigen. Da meinte der, ich sei gut geeignet, um Horn zu spielen, und so wurde ich Hornist.“ Nach einem neunjährigen, sehr erfolgreichen Studium mit vielen Auszeichnungen zog es Murat nach Deutschland. Einerseits war die politische Lage in der Türkei zu dieser Zeit sehr instabil, andererseits wollte sich der junge Hornist auf seinem Instrument noch weiter verbessern. Murat wurde Hornist beim Gelsenkirchener Opernorchester. An der Musikhochschule in Köln spielte er dem prominenten Hornlehrer Professor Erich Penzel vor, wurde von diesem prompt aufgenommen und studierte dort weitere zehn Semester Horn. Wegen des Militärdienstes kehrte Murat in die Türkei zurück: „Ich hätte sonst die türkische Staatsbürgerschaft verloren. Dann wollte ich in der Türkei bleiben, es war schon alles geregelt, ich hätte die Stelle als Lehrer am Konservatorium bekommen und hätte im sinfonischen Orchester als Hornist gearbeitet. Ganz zufällig habe ich erfahren, dass beim Zirkus Hagenbeck ein Kapellmeister gesucht wird – ein Arrangeur, Komponist und Kapellmeister.“ Und so zog Murat Üstün mit dem renommierten Zirkus für mehrere Jahre buchstäblich um die Welt. Die Geschichten, die er in dieser Zeit erlebte, würden den Rahmen dieses Porträts sprengen. Falls Sie Herrn Üstün einmal treffen sollten, fragen Sie ihn nach dem brennenden Wurfmesser im Schlagzeug oder nach dem Kamel, das während einer Vorstellung neben ihm verstarb. Eine Geschichte muss aber erwähnt werden: „… dann hat man das Zelt gebracht und am Zirkusplatz abgeliefert und dann hieß es Zelt aufbauen – mit Musikern wie mir! Nach einem Tag und einer Nacht ging immer noch nichts vorwärts, wir waren schon verzweifelt und müde. Da kam ein freundlicher Mann herbei und half uns – so schafften wir es dann. Es handelte sich um den berühmten Zirkusclown Galetti. Nach einer Stunde meinte er, ich sähe ziemlich kaputt aus, und schickte mich in seinen Wagen – seine Tochter solle für mich einen Kaffee machen. So habe ich meine Frau Mariza kennengelernt. Und seit 40 Jahren mache ich nun jeden Morgen für seine Tochter den Kaffee.“ Im Winter 1987 kam Murat gemeinsam mit seiner Frau Mariza nach Rankweil, in die Heimatgemeinde seiner Schwiegermutter, um sich hier niederzulassen. „Gerne bin ich mit Mariza nach Vorarlberg gekommen, weil mir ganz klar und bewusst war, dass Österreich nicht nur ein Land der Berge, sondern auch ein Land der Musik ist. Ich dachte mir, hier kann mir nichts passieren. Weltweit gesehen ist Österreich ein Spitzenland, in dem man gerne leben würde. Das wird hier gar nicht so geschätzt.“ Murat versuchte sofort im Ländle Fuß zu fassen. Aber sowohl beim Landeskonservatorium als auch bei der Musikschule Rankweil bekam er keine Anstellung – und das als hervorragender, mehrfach ausgezeichneter Hornist. Die türkische Herkunft war offensichtlich nicht von Vorteil. In dieser Zeit musste er in türkischen Nachtlokalen und bei Hochzeiten als Keyboardspieler sein Geld verdienen und machte auch als Alleinunterhalter Musik. Bei den „Kultursprüngen“ sollte sich beruflich das Blatt wenden: „Es war eine Schlussveranstaltung in der Messehalle, wo ich mit weißem Frack und weißer Fliege am Keyboard gesessen bin und dort türkische Lieder gesungen habe. Da kam die Ehefrau des damaligen türkischen Generalkonsuls, eine Pianistin, auf die Bühne. Sie hat damals als Solistin mit dem Jugendsinfonieorchester gespielt und mich erkannt. In einer Spielpause sind wir zu Guntram Simma gegangen, und er hat mir zugesagt: Sie können Ihrer Familie und Ihren Bekannten und Verwandten sagen, dass Sie ab Herbst bei mir an der Musikschule Dornbirn Horn unterrichten werden.“ – Nun bin ich schon über 30 Jahre Hornlehrer in Dornbirn.“ Murat wurde für mehrere Jahre Kapellmeister der „Hatler Musig“. In der Vorarlberger Komponistenszene wurde er schnell heimisch. Seine Bekanntschaft mit Gerold Amann war für Murat dabei sehr wichtig und hilfreich. Von 2010 bis 2020 war er auch musikalischer Leiter des Stadtorchester Feldkirch. Im Jahr 2014 erhielt Murat Üstün für sein kompositorisches Schaffen den Kompositionspreis des Landes Vorarlberg. Ein Preis, den der sympathische „Brückenschlager“ zwischen orientalischer und europäischer Musikkultur mehr als verdient hat. In der Nominierungserklärung wurde sein Volksmusik-Erfahrungsschatz und sein breit angelegter Musikgeschmack gelobt. „Seine Musik ist sensibel und vielschichtig. Für uns ein Traumkomponist, weil er zuhört und doch eigenständig bleibt und ebenso wunderbare Gebrauchsmusik komponieren kann”, hieß es. Seine Kompositionen für Ensembles und Chöre, aber auch für die Wiener Symphoniker, wurden unter anderem im Wiener Musikverein und in der Philharmonie Köln aufgeführt. Bereits 2005 widmeten ihm die Bregenzer Festspiele ein Porträtkonzert. Für Murat Üstün ist die Musik eine universale Sprache, die keine Übersetzung benötigt. „Musik versteht man überall, und zwar deshalb, weil die Elemente, die in der Musik verwendet werden, direkt von der Sprache kopiert worden sind. Laut, leise, schnell oder langsam, hoch oder tief reden, alle diese Elemente sind 1:1 in die Musik transferiert worden. Da fehlen nur noch die Silben, das sind die Töne. Deswegen braucht die Musik keine Übersetzung und wird überall verstanden, egal welcher Art.“
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